Steter Tropfen höhlt den Stein
Früher, als ich daheim DRS 3 hörte, musste ich sofort das Radio abstellen, wenn es Sonntag Abend wurde und die Hitparade (ja, ich bin ein Kind der Populär-Musik) in die World Music-Stunde überging. Diese fremden Töne waren mir meist zu anstrengend, und ich konnte absolut nichts damit anfangen.
Dann, als ich für meine Arbeit nach Paris zog, kam ich erneut in Berührung mit World Music. Nachdem mir Raï* durch französische Radiosender zigmal reingedrückt wurde, änderte sich nach und nach meine Meinung dazu. Und so entwickelte ich mich musikalisch doch weiter, entgegen der Meinung anderer. Bei meiner BFF ging dieser Prozess noch schneller vonstatten: B. lebte für drei Monate bei mir, um ihr französisch aufzufrischen, so die Sprachregelung. Needless to say, dass wir eine sehr lustige und erinnerungswürdige Zeit zusammen verbrachten, die mit den Französischstudien allerdings wenig zu tun hatten, aber viel mehr mit dem Coupe du monde 1998 (aber das ist wieder eine andere Geschichte). Anyway, B. verkündete als sie ankam vollmundig, dass sie wirklich gar nichts mit Raï-Musik anfangen könne. Umso überraschter war ich, als ich sie keine Woche später in flagranti zu genau diesen Klängen tanzend vorfand. Selbstvergessen bewegte sie sich zu den Songs von Khaled, Dalida, Faudel and the likes. Also auch bei ihr: Liebe auf den zweiten Blick.
Was ich damit sagen will ist dies: wenn man für längere Zeit woanders wohnt, wachsen einem nicht nur Land und Leute ans Herz, sondern eben auch die lokale Musik und fremde Klänge. Sie gehören dazu, genauso wie die Landschaft, das Essen, die Architektur usw. Man vermisst sie dann auch gesondert, wenn sie fehlt. Und dann erklingt plötzlich dieses eine Stück, und man wird gleich wieder an diesen Ort zurück katapultiert, wo es herkam. Aber es passiert noch viel mehr mit einem. Es triggert sofort die ganze Bandbreite an Emotionen von damals, ganz ähnlich wie es dies mit Gerüchen tut. Wenn ich also demnächst aus meiner Quarantäne raustrete, und der DJ im Riviera Beach dies hier auflegt wie die vergangenen beiden Sommer (und vielleicht für längere Zeit zum letzten Mal für mich) wundert Euch nicht, wenn ich mir verstohlen ein Tränchen hinter meiner Sonnenbrille wegwische.
Hier gibt’s noch mehr zu arabischer Musik und zu Dalida:
*Definition Raï (arabisch راي, Rāy) gemäss Wikipedia: Der Raï ist eine algerische Volks-und Populärmusik, entstanden in Westalgerien. Das wichtigste Zentrum ist Oran. Der Raï stieg in den frühen 1980er-Jahren zur bedeutendsten algerischen Popmusik auf und fand auch international weite Beachtung.Der Begriff Raï ist mehrdeutig. Im Arabischen bedeutet das Wort „ra'y“ so viel wie Meinung, Sichtweise oder Standpunkt, aber auch Ratschlag, Gedanke, Entscheidung, Plan oder Ziel. In einem speziellen Kontext verweist der Begriff hier auch auf den Rat eines Cheikh aus der Tradition des Melhoun. Zusätzlich findet sich auch eine weitere Ableitung vom Ausruf „Ya ray!“, der bereits in Vorläufern des Raï als Füllsel zur Überbrückung zwischen Textabschnitten diente, ähnlich dem “Yeah!” in der angloamerikanischen Pop- und Rockmusik.