7 und mehr Gründe warum ich gerne nach Jerusalem zurück kehrte

Faszination Jerusalem

Jerusalem ist der faszinierendste Ort, an dem ich je gelebt habe. So viel Geschichte, Kultur, Religion und Kontraste an diesem vergleichsweise kleinen Ort: zuweilen raubts mir den Atem. Im Rekord-Besucherjahr von 2019 kamen 4,5 Millionen TouristInnen nach Israel. Die meisten sind jüdische Menschen aus den USA, aber wir sahen auch viele christliche Pilgerer aus Südamerika und anderen Ländern. Seit der Pandemie wurde diese Zahl nicht mehr erreicht und wegen der dramatischen Ereignisse am 7. Oktober 2023 kam der Tourismus komplett zum Erliegen. Mir tun all die Geschäftsleute und Hotelbetreibende sehr leid, die von diesem Geschäftszweig leben. Allerdings muss ich ehrlich zugeben, dass die Altstadt nie magischer war als ohne Touristen-Ströme. Ich kenne sie inzwischen wie meine Westentasche und werde auch nicht mehr so oft angesprochen, weil mich die Händler nun kennen. Auch wenn ich nicht religiös bin, sind die Grabeskirche (ohne Touris!) und die Klagemauer zu einer Art Kraftort für mich geworden. Und für einmal muss ich nicht 1 ½ h anstehen, um zum Grab von Jesus zu gelangen. 

Jerusalem ist auch der komplizierteste Ort, den ich kenne. Was ich wann zu wem sage, jeder Beitrag auf Social Media, alles soll wohl überlegt sein. Die Menschen beobachten einen kritisch, selbst wenn sie die Gegend nicht kennen, geschweige denn hier gelebt haben, dafür aber eine klare Meinung haben von den Umständen. Gerade weil so viele verschiedene Menschen miteinander leben, gilt es, ihre Verhaltensweisen und Gewohnheiten zu studieren, die nicht in einem Regelbuch festgehaltenen Codes kennen zu lernen. Angefangen bei der Sprache: Hebräisch wird mehrheitlich auf der westlichen (israelischen) Seite der Stadt gesprochen, arabisch auf der palästinensischen; das Tram bildet praktisch die Sprach- und andere Grenzen. Also Vorsicht, wo du dich mit „toda“ und wo mit „shukran“ bedankst. Mit der Zeit erkennt man auch die Zugehörigkeit der Menschen aufgrund von Bekleidung, Gesten oder anderem. 

Dann das Wochenende: Im Arabischen Quartier wo wir wohnen, ist am Freitag fast alles geschlossen. In West Jerusalem kommt am Samstag, dem Shabbat, praktisch alles zum Erliegen, inkl. dem öffentlichen Verkehr. Shabbat dauert von Freitag ab Sonnenuntergang bis Sonnenuntergang am Samstag. Eine Stunde vorher fährt bereits kein Zug und kein Tram mehr. Ausser es seien palästinensische Busse Richtung Westbank…. In sehr konservativen Quartieren, bei uns zum Beispiel gleich gegenüber in Mea Sherim werden ganze Strassenzüge abgesperrt, damit wirklich kein motorisierter Verkehr stattfindet. Wer also ein schönes „Challah“ (ähnlich dem schweizerischen „Zopf“) kaufen möchte, sollte es spätestens bis Freitag mittag tun. Wenn du denkst, dass du alle Feiertage im Griff hast, kommt garantiert ein Wochenende wie letztes Jahr um die Ecke, an dem Juden, Moslems und Christen gleichzeitig etwas feiern.

A propos einkaufen: nicht ohne google Translate. Die Produkte sind nicht selten ausschliesslich auf hebräisch angeschrieben. Auch im arabischen Shop meines Vertrauens „Baladi“. Ob ich Milch, Rahm, Sauerrahm, Labnéh etc. kaufe, ist sonst Glückssache. Das willst du übrigens am Freitag Morgen erledigen, weil die Strassen dorthin leer sind, auf keinen Fall Samstag Mittag, weil dann die arabischen Kinder mit dem Auto von der Schule abgeholt werden und alles verstopft ist… Ausflüge nach Tel Aviv wiederum sind aus verkehrstechnischen Gründen am Samstag zu empfehlen, dafür sind die Strände gut bevölkert und die Läden geschlossen; oder du gehst am Sonntag und hast den Strand für dich, steckst dafür auf der Heimfahrt im Stau fest… es ist ein ständiges Abwägen deiner Optionen.

Das Wetter

An mehr als 300 Tagen im Jahr scheint hier die Sonne. Im Sommer sogar so stark, dass ich nur noch mit Kopfbedeckung raus gehe. Die von der Sonne komplett versengte Farbe auf den Autodächern deutet auf die Nähe zur Wüste hin. Im Sommer ist es heiss und trocken, mit oft über 40 Grad, auch in Jerusalem. Dafür kühlt es dann in der Nacht ab, Jerusalem liegt auf über 800m; in Tel Aviv ist das Wetter mediterran und durchs ganze Jahr ausgeglichen mild, im Sommer dafür auch feuchter. Klar regnet es ab und zu, besonders während der Wintermonate Januar bis März (die regnerischsten 4 Wochen fanden zum Glück grad ohne uns statt), und es läuft auch die Heizung bei uns zuhause. Jedoch ist es nie so verhangen wie ich es aus der Schweiz kenne.
To cut a long story short: schönere Sonnenuntergänge habe ich in dieser Kadenz nirgendwo sonst gesehen wie von meinem Küchenfenster in Jerusalem aus. 

Die Wohnung

Ich liebe unsere Wohnung in einem der ältesten arabischen Häuser von Sheikh Jarrah, einem Quartier ca 15 Fussminuten von der Altstadt entfernt. Die Wohnung ist lichtdurchflutet, mit hohen Decken und sehr heimelig. Ausserdem funktioniert alles, was ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist… zum Glück haben wir auch unsere eigenen Möbel mit dabei, was entschieden zum Wohlfühlfaktor beiträgt. Es besteht zwar insbesondere in Kriegszeiten ein Risiko, falls wir evakuieren und Dinge zurücklassen müssten… 

Meine Terrasse(n)

Ja, Mehrzahl. Der Bougainvillea ist klar mein Lieblingsstrauch, doch ich erfreue mich auch an den anderen Pflänzchen, die auf unseren Terrassen gedeihen und unsere Aufmerksamkeit erfordern. Einheimisches wie Zitronen und Mandarine, Kumquat, Feigen-und einen Maulbeerbaum auf seiner Terrasse zu haben, ist schon einzigartig. 

auf unserer "Hauptterrasse"

Meine Gspändli

Ich habe hier einen kleinen aber feinen Kreis von Freundinnen gefunden, es sind hauptsächlich Frauen aus anderen Ländern wie ich es selber bin und auch zwei Israelinnen, die Herz und Haus für mich geöffnet haben. Wir unterstützen uns gegenseitig und helfen einander besonders in schwierigen Zeiten wie jetzt. Jede hat einmal einen Durchhänger und braucht die positive Energie der anderen. Es ist übrigens erstaunlich wie vorteilhaft sich zwei Stunden gemeinsames Häkeln/Stricken pro Woche auf das Seelenheil auswirken…

Tel Aviv

Eigentlich kriegt man hier zwei Länder zum Preis von einem. Ok, full disclosure: das Land ist kleiner als die Schweiz aber mindestens gleich teuer. Wenn die angespannte Stimmung in Jerusalem zu stark aufs Gemüt schlägt, ist es Zeit für einen Ausflug ins hippe, hedonistische Tel Aviv. Zwei Städte, die nur 60km voneinander entfernt sind, könnten unterschiedlicher nicht sein. Tel Aviv fühlt sich leicht und unbeschwert an; die Strände sind toll, die Restaurants und Cafés ebenso; die Architektur im Bauhausstil stylish, das Cityhiking inspirierend, die Stimmung entspannt, ohne die strengen ungeschriebenen Regeln von Jerusalem.  

City hiking in Tel Aviv

The Old Man and the Sea, eines unserer Favourites in Jaffa

Vogelzug 

Israel ist weltweit einer der wichtigsten Korridore der Vogelmigration, eines alljährlichen Naturschauspiels. Zweimal im Jahr, im Frühling und im Herbst, versammeln sich im hiesigen Luftraum rund 500 Millionen Vögel auf dem Weg in ihre afrikanischen Wintergebiete beziehungsweise zurück in die europäischen, russischen und zentralasiatischen Brutgebiete. Das Land ist geographisch einmalig gelegen für die Zugvögel: sie müssen z.B. keine grösseren offenen Wasserflächen überfliegen, was sehr energiesparend für die Vögel ist. Das Thema Birdwatching alleine gibt genügend her für einen separaten Blog, weswegen ich es hier nicht weiter verfolge. Nur soviel: Unsere Beobachtungen im September wurden letztes Jahr jäh unterbrochen durch den Beginn des Kriegs. Wir hoffen, das Hula Valley wo wir unter anderem etwa 100 Flamingos beobachten konnten, im Frühling wieder besuchen zu können. 

Reisen 

Ich bin sehr froh, haben wir seit unserer Ankunft die meisten Sehenswürdigkeiten des Landes bereits besucht, der Zugang zu bestimmten Orten ist seit Kriegsausbruch erschwert oder unmöglich geworden, besonders in Westbank. Israel/Palästina ist so klein, dass es theoretisch möglich wäre, am gleichen Tag das Mittelmeer, den See Genezareth, das Tote Meer und das Rote Meer zu sehen. Das ist schon ziemlich spektakulär. Genauso wie die vielen Sights in Jordanien, die für uns auch ganz einfach mit dem Auto erreichbar sind. Wir waren in Jerash, in Petra, Wadi Rum, Aqaba, mehrmals in Amman und kennen inzwischen fast jedes Hotel am Toten Meer. Trotzdem wird es für mich nie nicht speziell sein, im Toten Meer zu floaten!

in Petra

Jerash

Alles in allem finde ich den Einsatzort in Jerusalem einzigartig und unvergleichlich, auch wenn es nicht immer einfach ist. Wir hoffen, dass bald bessere Zeiten für alle kommen, so dass auch unser Gästezimmer wieder mal belegt wird!

I love JLM

Beatrice Rieben - Life(Style), Confidence & Expat Coach