Konflikte, Korruption und andere Katastrophen
Da dies das dritte konfliktbeladene Land ist, in dem ich lebe, bin ich unfreiwillig zu Erfahrung für das Leben in solchen Ländern gekommen.
Beim ersten Mal war ich in Moskau stationiert, 1995 und während des Tschetschenien-Krieges; ich war jung, unbeschwert und „needed the money“. Der Konflikt machte mir wenig Sorgen; er schien weit weg zu sein. Auch war ich politisch damals wenig interessiert. Das einzige, womit ich mich konfrontiert sah, waren verwanzte Wohnungen und geteilte Telefonleitungen - beides Hinterlassenschaften der sowjet-kommunistischen Gastfreundschaft.
Jahre später dann, als Mutter mit zwei kleineren Kindern in Sri Lanka, fand ich mich mit anderen Ängsten und Sorgen wieder. Mitten im Bürgerkrieg landeten wir 2008 mit einem knapp 8-Jährigen und einem 5-Jährigen in Colombo. Notabene auch das erste Mal, dass ich überhaupt meinen Fuss nach Südostasien setzte. Mir war alles sehr fremd und es dauerte ein Weilchen, bis ich ein Gefühl für den Ort entwickelt hatte. Vor allem, wie ich mich sicher fühlen konnte. Wichtig war uns vor allem, dass unser Wohnort in der Nähe der Schule war. So konnten wir die Kinder sofort abholen, falls es zu einem Notfall käme. Wir erlebten die beiden letzten Luftangriffe auf Colombo mit, bevor 2009 der bewaffnete Konflikt endlich vorbei war. Je besser ich Sri Lanka kennen lernte, umso weniger machte ich mir um unsere Sicherheit Sorgen. Die Gefahr, in einen Verkehrsunfall zu geraten oder eine Infektionskrankheit zu bekommen, schätzte ich als viel höher ein. Wir hielten uns aber natürlich immer an die etablierten Sicherheitsvorschriften. Wir besuchten umkämpfte Regionen nicht und mieden stark frequentierte Plätze wie zum Beispiel der Pettah-Markt, der wiederholt Ziel von Bombenanschlägen war. Die Selbstmordattentäter (und Attentäterinnen) schlugen oft ohne erkennbares Muster und ohne Warnung zu und so fühlte sich niemand in grösseren Menschenansammlungen sicher.
Als wir dann für 4 Jahre nach Beirut in den Libanon gehen sollten, gab es genau zwei Reaktionen: a) von den ArbeitskollegInnen des Hubbys aus der humanitären Ecke: oh wow, super, ich beneide Euch und b) alle anderen: was, geht’s noch?
Damit es auch hier gesagt ist: ich würde nie im Leben meine Kinder an einen Ort bringen, bei dem ich von Anfang an ein schlechtes Gefühl hätte betreffend Sicherheit. Wir können davon ausgehen, dass, solange es vor Ort noch eine Botschaft gibt, das Leben für eine Familie auch zumutbar ist. Ich finde, dass Orte wie Beirut und Moskau zu Unrecht einen schlechten Ruf haben oder hatten, während andere Orte auf ebenso unsachliche Weise zu gut wegkommen. Zum Beispiel die USA: Das 4jährige Patenkind einer Freundin muss in seinem amerikanischen Kindergarten regelmässig einen Sicherheitsdrill mit der Klasse absolvieren, wegen der Amokläufe vergangener Jahre. Eine Expat-Erfahrung der etwas anderen Art aus einem Erstwelt-Land, oder?
Was ich gelernt habe ist, mir vor der Ausreise solide Information zu beschaffen bei gut unterrichteten Quellen. Wenn ich mit Familie verreise, suche ich Kontakt zu Familien in der gleichen Situation ist, die sich ziemlich sicher die gleichen Sorgen machen.
Aber zurück zu meinem Gastland: natürlich ist das Leben in einem Krisenland nicht einfach. Der Libanon ist eine Insel. Umgeben von Israel im Süden und Syrien im Norden und Osten dominiert Unsicherheit, Feindschaft und Gewalt, im Westen verläuft über die ganze Länge des Landes die Mittelmeerküste. Wer überhaupt weg kann und will, der muss sich gezwungenermassen in ein Flugzeug setzen.
Letzten Oktober ist als weitere Dimension der libanesische Volksaufstand dazu gekommen. Zu Anfang dieser Unruhen war ich mit meinem Sohn für die Herbstferien in der Schweiz und wir wussten nicht recht, ob wir überhaupt zurück fliegen konnten. Ich wollte dann aber auch nicht den Hubby vor Ort alleine lassen (mitgegangen, mitgehangen), worauf wir zurück reisten. Dann war die Schule für ca. 3 Wochen geschlossen. Seither sind 4 Monate ins Land gestrichen, die Regierung aufgelöst und neu formiert, die allerschlimmsten Befürchtungen (Strassengewalt, Wirtschaft komplett kollabiert, Bankenkollaps) haben sich – hamdillah – bisher nicht bewahrheitet, und das Leben geht für uns einigermassen so weiter wie bisher. Aber trotzdem: die ca. 800 Restaurant-Schliessungen im letzten Jahr und die unzähligen leerstehenden Geschäfte in der Innenstadt, also die ganze prekäre wirtschaftliche Situation trifft besonders die arme Bevölkerung mit voller Härte. Wir haben als Massnahme unser lokales Bankkonto hier auf $4.50 Guthaben fallen lassen, weil nicht nur die Regierung, sondern auch die Banken hier das Vertrauen der LibanesInnen verspielt haben.
Es finden immer noch Strassenblockaden und Demonstrationen statt, manchmal auch direkt vor dem zentral gelegenen Gebäude, in dem die Botschaft einquartiert ist. Unlängst sah ich ein Video eines CNN-Reporters im Libanon. Darin schreitet er im Tränengasnebel mit Gasmaske durch die Innenstadt von Beirut, und berichtet über die hiesige Lage. Ich schaute mit einer Mischung von Distanz und Gleichgültigkeit zu. Bis mir auffällt, wie so eine Reportage für jemanden von aussen wirken muss. Ich denke aber, nach über 3 Jahren im Nahen Osten diese Gegend zu kennen und zu spüren, wann es wirklich gefährlich wird.
Aber do I? Oder gewöhnt man sich ganz einfach daran? Manchmal ist das eigene Gefühl das falsche Gefühl. Möglicherweise wird die eigene Toleranzgrenze immer höher. Es gilt auf jeden Fall, immer wieder eine eigene kritische Distanz zu finden.
Sonst geht es einem wie dem Frosch im Kochtopf. Das Wasser wird langsam zum Kochen erhitzt. Der Frosch bemerkt zwar die zunehmende Wärme, nicht aber das drohende fatale Ende - und verpasst so den rettenden Sprung aus dem Topf. Ich will wissen, was um mich herum passiert und bleibe neugierig und interessiert. So ist ein Gespräch mit dem Taxifahrer oder ein Schwatz im Gemüseladen oft aufschlussreicher als mancher Zeitungsartikel.
Und, last but not least: Sicherheit ist immer meine eigene Verantwortung - und diese Verantwortung kann nicht abgegeben werden. Vielleicht leider, mag man sich manchmal denken. Aber eigentlich: zum Glück !